WERKSCHAU: HERWIG WEISER
IFFI 2022 – 25.05.2022
Dem Künstler Herwig Weiser ist eine Werkschau gewidmet. In einem Programmpunkt werden 18 seiner experimentellen Kurzfilme von 1993 bis 2022 gezeigt. Anschließend an die Preisverleihung vertonen HAUS DER REGIERUNG (Herwig Weiser, Nik Hummer, Philipp Quehenberger) Matrix-Filme von Herwig Weiser. Am 20.5.2022 wurde in der Galerie Johann Widauer eine Ausstellung von Herwig Weiser eröffnet. Sie läuft bis zum 24.6.2022. Das Gespräch mit Herwig Weiser führt Isabella Reicher.
Ein Text von Stefan Grissemann
Aufsteigende Panik, zitternde Welt.
Die abgründigen Bewegtbildarbeiten des Künstlers Herwig Weiser.
Die Finsternis, die in den Filmen Herwig Weisers herrscht, ist brüchig. (Auch jenen Arbeiten, die er bei Tageslicht gedreht hat, eignet etwas Nächtliches, Dämmergraues, Somnambules an.) Dass wir in ihnen überhaupt etwas sehen, ist dem eindringenden Kunstlicht, der Grundlage des Kinos, zu verdanken. Es schafft die Illusion von Körpern und Räumen, konturiert die Schauplätze, die Protagonist*innenen, die Erzählungen. Aber das Licht, das Weiser setzt, ist anders, als man das im Kino gewohnt ist: Es erscheint fahrig, zerreißt die Dunkelheit, wie in einer Suchbewegung, als stehe noch nicht fest, worauf es hinauswill; es blendet und strahlt derart heftig in die Bilder, dass die Illusionen unmittelbar zu brechen drohen.
Als „instabile Skulpturen“ betrachtet Weiser seine Filme, und tatsächlich ist alles in ihnen in Bewegung, die Menschen, die Objekte und insbesondere die Architektur, um die sein Werk unablässig kreist. Die Körperlosigkeit der Projektionen durchkreuzt er, indem er seine Arbeit physisch nimmt, sie zu radikal somatischen Erfahrungen macht. Seine Interventionen sind oft drastisch, dazu angetan, Angst und Schwindel zu erregen; seine Szenarien tendieren ins Dystopische, von einer Form der „Apokalypse“, die in seinen Filmen sei, spricht Weiser selbst.
Seit knapp 30 Jahren stellt er bewegte Bilder her, sie stehen in produktiver Beziehung zu seinen Installationen, werden im Museumsraum als Erweiterungen genutzt. Zum Teil sind seine Werke nur wenige Sekunden lang; die längsten dauern zwischen acht und elf Minuten. Weisers Setzungen verweigern die Idee einer dramaturgisch gestalteten Heterogenität, seine Filme folgen im Wesentlichen je einer (und nur dieser einen) Vision, die er – wie einen Song aus drei Akkorden – in aller Konsequenz abwickelt. Schon in seinen frühesten Arbeiten changiert Weiser zwischen fotografischem Film und Videomaterial, zwischen Abstraktion und Konkretheit, Dokument und Fiktion. Die latente Widersprüchlichkeit dieser Produktionen beginnt bei ihren Titeln: Fast alle heißen UNTITLED, zur besseren Unterscheidung aber trägt jeder dieser Filme einen spezifizierenden Titel in Klammern: Mit UNTITLED (TESTBILD), UNTITLED (BILDERDIJK) und UNTITLED (BIRDS) beginnt 1993 Weisers Filmografie. Die Namenlosigkeit hat Methode. Untitled, das signalisiert auch: serielle Struktur, Vorläufigkeit, Anonymität.
Weisers Werke sind aus zerlegtem Raum und manipulierter Zeit gebaut, oft als nervös zuckende Einzelbilderfolgen formuliert, im Grenzgebiet von Avantgardefilm, Performance und Installation. Die Dinge, die sie zeigen, erscheinen nicht, „wie sie sind“, sondern über die Bande gespielt, gefiltert, verwischt, vernebelt, verdunkelt – „entwirklicht“ im groben Korn des Schmalfilmbilds oder in elektromagnetischen Unschärfen gleichsam „grafisch“ gemacht –, sind als Produkte einer speziellen Medialität, als eben „vermittelt“ deutlich gebrandmarkt.
Herwig Weisers Filme, subkulturelle No-Budget-Spektakel aus dem Geist des Post-Punk und der anglo-amerikanischen Industrial-Kulturen, stellen Wahrnehmungsfallen. In ENTREE (1999) werden Bilder eines Freizeitparks in Frankreich durch die Filmmaschine gejagt, in ein Stück Meta-Science-Fiction verwandelt, das den kaleidoskopischen Blick eines veränderten Bewusstseins feiert. Um Ritualismus und Animismus kreist Weisers Arbeit seit je. Das Tiroler Brauchtum liefert ihm in dieser Hinsicht eine Steilvorlage, UNTITLED (SPIEGELTUXER) und UNTITLED (SCHELLERER) sind Beispiele dafür: Wie heidnische Kulte betrachtet Weiser die ins Unheimliche gerückten Maskenspiele der Folklore. Die toten Augen der hölzernen Larven blicken einen insistierend an. Weisers Interesse an mutierten Gesichtern ist auch an UNTITLED (FACE) abzulesen, einer Serie stilisierter, tiermenschlicher Visagen, die sich wie eine bewegte Phantomzeichnung entwickeln.
HAUS DER REGIERUNG heißt Weisers produktionstechnisch komplexester Film: Als Versuch über das Unheimliche, wie Sigmund Freud es definiert hat, könnte man ihn lesen: als Verkettung beunruhigend fremder, sich wiederholender Ereignisse, die wie unerklärliche Geheimnisse aus dem Unbewussten hochgestiegen sind. HAUS DER REGIERUNG, benannt nach einer berüchtigten Moskauer Wohnanlage aus der Zeit des Stalinismus, wird bei Weiser zum Geisterhaus, zur Bühne einer Inszenierung, die einen im Unklaren darüber lässt, wo das Architekturdokument endet und die Performance beginnt, was hier noch Raum-Spukstimmung, was schon Aktionstheater ist. Die Vergangenheit (seines Ortes, der Genre-Assoziationen) schließt Weiser mit der Zukunft (der Menschheit, des Kinos) kurz: Aus den Spinnweben, die in diesem haunted house überall zu wuchern beginnen, erwächst futuristischer Terror; in den Schockkorridoren des finsteren Gebäudes öffnen sich zu beiden Seiten die Türen, aus denen sich verschnürte Schattenfiguren neigen.
Die kontante Vibration der via Einzelbildschaltung festgehaltenen Phänomene ist nicht die einzige formale Attraktion hier: Es gibt Materialsprünge, Lichtwechsel und -blitze, die den Blick umlenken, auf verstrickte Phantome, die durch Kino- und Theatersäle rumoren. HAUS DER REGIERUNG ist die Abstraktion eines Horrorthrillers, eine filmische Allegorie auch vom entgleisenden, befreiten Projektionslicht. Die Zeit ist, gemeinsam mit ihm, aus den Fugen, hält sich nicht mehr an die alten Übereinkünfte, lässt sich raffen und dehnen. Eine Suspense der Räume konkretisiert sich: Es ist kein Zufall, dass Weiser (nicht nur in diesem Film) mit der Höhenangst spielt, wie Hitchcock steile Stiegen und abgründige Treppenhäuser als Motiv liebt; die kaum 25 Sekunden währende Aktionsminiatur UNTITLED (BIRDS) dreht sich zudem um einen zudringlichen Taubenschwarm, der den Fifties-Schocker DIE VÖGEL ironisch in eine Nussschale packt. In die Filmgeschichte schreibt sich Weiser auch anderswo launig ein. In UNTITLED (FULL NYLON JACKET) von 2013, lässt er, als wär’s ein Hirngespinst von David Lynch, eine Kunststoff-Winterjacke eine Bob-Bahn hinuntertänzeln und schweben.
Als Akte performativer Sabotage sind Weisers Werke zu verstehen; auf den Punkt bringt diese These OLYMPIA, inszeniert mit Hannes Baumann, das Dokument eines Protests bei Nacht und Nebel: Die Künstler schlagen kurzerhand die olympischen Ringe an der Bergiselschanze ab. Kunst greift ein. Irritation verpflichtet.