Flower Island (2. American Film Festival, 1993)
Jorge Furtado
Im Kurzfilm "Ilha das flores" (Blumeninsel) lässt uns der Brasilianer Jorge Furtado lachen, bevor uns das Lachen im Hals stecken bleibt. Drei Sätze bilden den Einstieg in den Kurzfilm "Ilha das flores" (Blumeninsel). Da heisst es zunächst im Vorspann: "Das ist kein Spielfilm". Dann, nicht minder sachlich: "Es gibt einen Ort namens Blumeninsel." Und als ob der Sachlichkeit noch nicht genug wäre, mit einem zusätzlichen Schuss Dimension: "Es gibt keinen Gott." Klar: Bei so viel Sachlichkeit ist vom ersten Moment an Ironie mit im Spiel. "Blumeninsel" spielt mit einem Alltagston, der uns rasch einmal schmunzeln lässt, denn da werden Nahrungsmittel, Menschen, Körperteile, Tiere und geographische Angaben heruntergeleiert wies im Buche steht. Das klingt dann etwa so: "Die Japaner unterscheiden sich von den anderen Menschen durch die Form ihrer Augen, die schwarzen Haare und eigene Namen. Dieser Japaner heisst Suzuki. Menschen sind Säugetiere, Zweifüsser, die sich von anderen Säugetieren und Zweifüssern unterscheiden durch ihr hoch entwickeltes Vorderhirn und Daumen-Opposition. Das hoch entwickelte Vorderhirn erlaubt den Menschen, Informationen zu speichern, zu verbinden und zu verstehen. Die Daumen-Opposition erlaubt ihnen eine präzise Handhabung. Mit der Kombination dieser zwei Merkmale konnte der Mensch unzählige Verbesserungen auf seinem Planeten vornehmen, unter anderem Tomaten anbauen. Die Tomate ist, anders als der Wal, das Huhn und die Japaner, eine Pflanze."
Irgendwann, nach einer Strecke vorzüglichsten Amüsements, bleibt einem das Lachen mit genau derselben Konsequenz im Halse stecken, denn "Blumeninsel" ist bis hin zur letzten Konsequenz ein Film über den Umgang mit Nahrungsmitteln, Tieren und Menschen. Das "Schicksal" der Tomate wird für Jorge Furtado nämlich zur Frage an eine Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Natur und nicht zuletzt zu den Menschen, vor allem zu denen, die die Ärmsten der Gesellschaft sind.
"Blumeninsel" orientiert sich einerseits an der Ästhetik von Videoclips und greift anderseits auf filmische Präsentationsformen aus den 60er Jahren zurück, in denen Werbung noch als Wahrheit verkauft werden konnte. Neben den Filmsequenzen, die das "Schicksal" der Tomate und das damit verbundene Verhalten der Personen beschreiben, verwendet Furtado neben einem Endloskommentator ein Sammelsurium an Bildern zur visuellen Erläuterung. Gemälde, Zeichnungen aus Lehrbüchern, Realbilder und filmisches Archivmaterial werden genutzt, um den an wissenschaftlicher Exaktheit orientierten Text zu konterkarieren. Von den 61 Millionen Tonnen Tomaten, die weltweit jährlich angebaut werden, folgt der Filmemacher einer ausgewählten brasilianischen, gepflanzt von einem Japaner, von der Plantage, über den Supermarkt und die Küche bis hin zur "Blumeninsel". Hinter diesem poetischen Namen verbirgt sich freilich der Müllplatz von Porto Alegre. Was diese Müllkippe mit den Tomaten des Herrn Suzuki, dem Parfüm von Frau Anete, der "freien" Marktwirtschaft in Brasilien und dem Weltmarkt im überhaupt zu tun hat, veranschaulicht der Film in irrer Form.